kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Reifen - Freigaben - Erfahrungen.

kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon VT12 » 16.04.2017, 12:15

BILD 01
Hier ist alles perfekt. Foto zeigt feinen, gleichmäßigen Gummiabrieb ohne Aufbrüche oder sonstige Auffälligkeiten. Sehen Pellen so aus, kann man sorgenfrei weiterballern.

BILD 02
Diesem Reifen sieht man seine hohe mechanische Belastung an. Er wurde wahrscheinlich sehr lange sehr hart beansprucht und erhitzte stark. Dadurch bildeten sich große, walzenförmige Gummiwulste. Auf ihnen „rollt“ das Heck bereits bei moderaten Schräglagen und ohne ans Gas zu gehen Richtung kurvenäußeren Rand. Bereits beim Einlenken spürt der Pilot, dass der Sidegrip nachlässt. Zeit für einen Reifenwechsel. Das Abriebbild zeigt keine weiteren Besonderheiten.

BILD 03
Ein Abriebbild der fiesen Sorte. Aufgrund der starken, schuppenartigen Aufbrüche an der Flanke rutscht das Bike nur noch herum und baut kaum mehr Grip auf. „Entweder war der Asphalt für die Gummimischung zu rau oder die Asphalttemperaturen zu niedrig“, analysiert Karlheinz Diepold von Pirelli/Metzeler. „Das Reifenbild ist typisch dafür. Bevor der Reifen die richtige Arbeitstemperatur erreicht hat, wurde er zerstört“, weiß der Kundendienstleiter. „Ein ähnliches Bild entsteht bei einem viel zu hart eingestellten Federbein, der Reifen hat dann zu viel Schlupf.“ Peter Baumgartner von Bridgestone stimmt überein: „Bei einer zu harten oder sehr stark vorgespannten Feder muss der Reifen die Arbeit des Federbeins übernehmen. Dadurch reißt er mit der Zeit auf. Dasselbe passiert auch bei einem zu hohen Luftdruck“. Der Reifentechniker aus der MotoGP bringt eine weitere mögliche Ursache ins Spiel: „Ist die Balance des Motorrads zu frontlastig, baut der Reifen in maximaler Schräglage zu wenig Haftung auf, worunter der Seitengrip leidet.“

BILD 04
Das ungleichmäßige Verschleißbild mit starken und weniger starken Vertiefungen führen die Experten vor allem auf ein falsches Federbein-Setup zurück. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Denn einer vermutet die Ursache in einer zu harten, der andere in einer zu weichen Dämpfungsabstimmung. Beide Erklärungen klingen plausibel. Bei einer zu straffen Druckstufen-Dämpfung (sie kontrolliert das Einfedern) nimmt der Monoshock die Stöße der Straße nicht auf, leitet sie an den Reifen weiter und das Hinterrad neigt zum Springen. Es hebt kurz ab, rutscht durch und kommt wieder auf dem Boden auf. Auf Dauer killt das den Reifen wie im Foto zu sehen. Bei einer zu weichen Dämpfung pumpt das Heck dagegen wild auf und ab. Auch das bewirkt eine unterschiedliche Belastung des Reifens und erzeugt dadurch ein ungleichmäßiges Abriebbild. Dazu wird die Pelle sehr heiß. „Möglicherweise war auch der Fahrer zu schwer für die verwendete Feder“, vermutet ein Spezialist. Die Lösung: Fahrwerk-Spezial Teil eins und drei lesen, Monoshock abstimmen und entspannt angasen.
Passt das Setup des Federbeins und der Reifen zeigt trotzdem dieses Abriebbild, ist die Gummimischung sehr wahrscheinlich zu weich. Pflegt der Pilot dazu einen Fahrstil, bei dem er relativ langsam in die Kurven hineinfährt und brutal aus den Ecken herausbeschleunigt, stresst das den Reifen zusätzlich. Generell ist die gegensätzliche Fahrweise - schnell rein, langsam raus - schonender für die hintere Pelle.

BILD 05
Trotz des etwas gröberen Abriebs ist das Verschleißbild sehr ordentlich. Oftmals ist ein bestimmtes Bild charakteristisch für einen Hersteller. Wie hier bei MICHELIN, bei dessen Sportpellen schon öfters ein etwas raues Abriebbild auffiel. Auf die Performance hat es aber keinerlei negative Auswirkung.

BILD 06
Grundsätzlich ein geschmeidiges Reifenbild. Der starke Abrieb zwischen Laufflächenmitte und -rand deutet auf starkes Beschleunigen bei mittlerer Schräglage hin. „Da der Reifen an der Flanke weniger Laufspuren zeigt als weiter innen, wurde er wahrscheinlich auf einer Strecke mit schnellen Kurven und wenig Schräglage wie den Red Bull Ring in Österreich gefahren“, vermutet Diepold. Das Abriebbild geht in Ordnung. Auch der Bridgestone-Mann gibt grünes Licht: „Der Übergang von der äußeren Reifenflanke zum Traktionsbereich sieht super aus“, schwärmt er. „Man sieht aber, dass der Reifen stark belastet wurde. Vielleicht war die Mischung einen Tick zu weich oder der Fahrer zu schwer. Wahrscheinlich beginnt der Reifen nun langsam zu schmieren. Unter dem Strich aber ein prima Verschleißbild.“

BILD 07
Vorwiegend bläulich schimmernd, manchmal mit einem Schuss braun oder grün: Die Verfärbung stammt laut Pirelli von austretenden Alterungsschutzmitteln und entsteht bei hoher mechanischer Belastung und daraus resultierender Hitze. Pirelli spricht bei diesem Phänomen von „Blueing“. Bridgestone nennt den Effekt „Oiling out“ und führt ihn auf einen zu hohen Ölgehalt in der Mischung zurück. So oder so: Auf die Fahreigenschaften hat die Verfärbung keinerlei Wirkung, auch bunt schimmernde Pellen erlauben maximalen Angriff!
(Quellangabe:PS)

An dieser Stelle einige Hinweise für die ganz wilde Fraktion: Falls Sie die Gummis in öffentlichen Gefilden ähnlich wie auf der Renne belasten, dann gebührt Ihnen 1) Respekt, sollten Sie sich 2) nicht erwischen lassen, sich 3) nicht aufs Maul legen und 4) bei einem professionellen Rennteam anheuern!

Zum Vergrößern der Bildsammlung bitte anklicken

Schöne Ostertage winkG
Dateianhänge
Bilder.jpg
siehe Texte zu den Bildern
VT12
 

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Oldenburger » 16.04.2017, 12:32

Oh Gott, gleich gehts ab. Ich befürchte, du hast die Büchse der Pandora geöffnet popcorn
Gruss to Hus

Oldenburger
Oldenburger
 
Beiträge: 114
Registriert: 01.09.2015, 15:30
Motorrad: S1000XR

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Kajo » 16.04.2017, 12:51

Okay bevor es losgeht schnell noch ein Dankeschön für den Beitrag.

Gruß Kajo
Benutzeravatar
Kajo
 
Beiträge: 2613
Registriert: 19.03.2015, 17:58
Wohnort: Platten
Motorrad: S1000R - 2018

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon wave69 » 16.04.2017, 14:05

Gefällt mir ThumbUP
...mal sehen was geht.
Benutzeravatar
wave69
 
Beiträge: 81
Registriert: 31.01.2014, 16:29
Wohnort: 52351
Motorrad: S 1000 RR

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon jussen » 16.04.2017, 18:07

Super Beschreibung. Wobei ich den gravierenden Unterschied zwischen Bild 02 und Bild 05 nicht wahrgenommen hätte.
Benutzeravatar
jussen
 
Beiträge: 63
Registriert: 05.06.2015, 15:55
Motorrad: S1000R

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Willes » 17.04.2017, 11:38

Bilder sagen mehr als 1000 Worte ThumbUP
Danke für den Beitrag :clap:
ONLINE SHOP -> Timos-Plottshop

Wenn's nicht rockt - isses für'n Arsch!
Benutzeravatar
Willes
 
Beiträge: 1264
Registriert: 22.07.2014, 13:50
Wohnort: Heiningen
Motorrad: S1000RR 14'

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Fafnir » 17.04.2017, 17:50

jussen hat geschrieben:Super Beschreibung. Wobei ich den gravierenden Unterschied zwischen Bild 02 und Bild 05 nicht wahrgenommen hätte.


Ich hab's mich nicht getraut zu schreiben ...
Benutzeravatar
Fafnir
 
Beiträge: 1094
Registriert: 01.01.2015, 09:18
Motorrad: S1000XR

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Kurt » 17.04.2017, 19:06

ThumbUP :clap:

Kurt
Es ist egal welche Farbe eine BMW hat, es muss nur eine BMW sein
Benutzeravatar
Kurt
 
Beiträge: 945
Registriert: 05.06.2014, 15:01
Motorrad: BMW S1000 R

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon VT12 » 17.04.2017, 19:27

Fafnir hat geschrieben:
jussen hat geschrieben:Super Beschreibung. Wobei ich den gravierenden Unterschied zwischen Bild 02 und Bild 05 nicht wahrgenommen hätte.


Ich hab's mich nicht getraut zu schreiben ...


@Fafnir
Kannst du aber ruhig. Der Unterschied liegt schlicht am Reifenfabrikat. Soll heißen, trotz eines groben Abriebbildes
kann der eine Reifen noch taugen, der andere nicht.
Manche Reifen zeigen eben ein etwas raues Bild, was der Funktion u.U. keinen Abbruch tut.
Bild 5 zeigt nach meinem Geschmack ein etwas besseres Bild als Bild 2. Die Gummiwalzen sind etwas feiner.
Der Unterschied ist nicht gravierend, das stimmt. :D

Finde es super das der Beitrag positiv ankommt und nicht wie so oft ins Lächerliche gezogen wird.
Danke ThumbUP
VT12
 

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Fafnir » 17.04.2017, 19:52

VT12 hat geschrieben:Finde es super das der Beitrag positiv ankommt und nicht wie so oft ins Lächerliche gezogen wird.
Danke ThumbUP


Och, das könnten wir auch ... scratch
Benutzeravatar
Fafnir
 
Beiträge: 1094
Registriert: 01.01.2015, 09:18
Motorrad: S1000XR

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Serpel » 17.04.2017, 23:21

Reine Rücksichtnahme ... arbroller

Gruß
Serpel
Benutzeravatar
Serpel
 
Beiträge: 1752
Registriert: 28.06.2013, 11:34
Wohnort: Engadin
Motorrad: BMW S 1000 R

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon jkoehler » 18.04.2017, 09:59

danke,
spannend erklärt...

again what learned !
S1000RR, 2009, ohne Probleme/Mängel etc...
jkoehler
 
Beiträge: 299
Registriert: 18.01.2011, 13:43
Wohnort: Gröbenzell / München
Motorrad: RR aus 2009

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon Matthias K » 18.04.2017, 13:03

Dankeschön für diesen Beitrag ThumbUP :clap:
....alles geht!!!
Benutzeravatar
Matthias K
 
Beiträge: 3840
Registriert: 03.10.2012, 07:13
Motorrad: HP4 Competition 0169

Re: kleine Reifenkunde (Abriebbilder) für Interessierte

Beitragvon rrzony » 20.04.2017, 12:25

Danke für deinen Beitrag!
rrzony
 
Beiträge: 13
Registriert: 24.03.2016, 08:13
Motorrad: bmw 1000rr 2015


Zurück zu RR - S 1000 RR - Reifen - S1000RR - HP4 - HP 4



Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste